Dieser Text ist 2007 in der vom Antisexismus Bündnisses Berlins herausgegebenen Broschüre „As.ism_2“ erschienen und ist die gekürzte und überarbeitete Version des Textes „Sexismus –Vom Allgemeinen zum Besonderen“ (2001).

Das Geschlechterverhältnis war und ist Transformationen unterworfen, die Situation von Frauen
hat sich verbessert und der soziale Handlungsrahmen für Männer erweitert, aber immer noch ist
das Verhältnis ein hierarchisches. Schließlich haben gesellschaftliche Veränderungen zwar zu
einer formellen Gleichbehandlung der Geschlechter z.B. bei den Zugangsmöglichkeiten zu Bildung
und Politik geführt und inzwischen besteht auch für Frauen die Möglichkeit, in der Sphäre der
gesellschaftlichen Öffentlichkeit zu wirken, aber ökonomische, berufliche, soziale und private
Geschlechterzuweisungen existieren weiterhin.


Machtverhältnisse, die sich auf die Trennung und Hierarchisierung der Geschlechter stützen,
äußern sich vielfältig in den verschiedensten Bereichen. Die Strukturen bestehen auf
verschiedenen Ebenen und sind kompliziert und komplex und man macht es sich zu einfach,
Männern die Herrschaftsausübung und somit die Rolle der Unterdrücker und Frauen die Rolle der
Unterdrückten zuzuschreiben, denn an der Gestaltung und Aufrechterhaltung sind beide
Geschlechter beteiligt.
Die gegenwärtige Gesellschaft ist von Macht- und Hierarchiestrukturen geprägt, die sich sowohl im
Geschlechterverhältnis wie in der ökonomischen Ordnung zeigen, wobei diese zwei Aspekte
miteinander verflochten sind. Die eindeutige Unterscheidung der Geschlechter ist nicht nur eine
Erscheinung des Kapitalismus, aber sie wird in ihm brauchbar gemacht. Eines seiner
herausragenden Merkmale ist die Trennung von Produktions- und Reproduktionssphäre, wobei
traditionell Männern der öffentliche, produktive und Frauen der private, reproduktive Bereich
zugeordnet ist. Dabei wird die Arbeit im Reproduktionsbereich nicht bezahlt, bzw. nur über die
Lohnarbeit des Mannes indirekt vergütet. Verschiebungen in diesen traditionellen
Geschlechterzuweisungen haben zwar stattgefunden, jedoch waren sie nie radikal genug, um zu
einer Bedrohung des Kapitalismus zu führen oder die Auflösung der Geschlechter zu bewirken.
Gendermainstreaming ist inzwischen ein etabliertes Konzept und einzelne Forderungen der
diversen Frauenbewegungen wurden erfüllt, allerdings stellt sich immer wieder heraus, dass das
kapitalistische System genug Flexibilität aufweist, um auf die Veränderungen einzugehen ohne
das Geschlechterverhältnis grundsätzlich zum Wanken zu bringen. Ein weites Spektrum
verschiedener Positionen kann parallel in gesellschaftlichen Diskursen bestehen, und so ist die
Gleichzeitigkeit von kritischen Gender- und Queer Theories und konservativen antifeministischen
Backlashpositionen möglich.
Prinzipiell stehen Frauen inzwischen alle Berufszweige offen, aber sie sind immer noch die
Hauptverantwortlichen für den Reproduktionsbereich, bei der Karriereplanung hindert sie nach wie
vor die vielbeschworene Doppelbelastung. Bis heute wird innerhalb dieser Gesellschaft in „typisch
männliche“ und „typisch weibliche“ Tätigkeiten unterschieden und wie fest diese Einteilung auch in
den Köpfen verankert ist, lässt sich z.B. an Statistiken ablesen, die die Berufswünsche von jungen
Männern und Frauen abfragen. „Typisch weibliche Tätigkeiten“ sind eher dienstleistend oder sozial
und stützen sich auf die zugeschriebenen „weiblichen“ Qualitäten wie Einfühlungsvermögen,
Fürsorge und Vermittlung. Durchsetzungsvermögen, Machtstreben und dominantes Verhalten sind
dagegen die „männlichen“ Qualitäten, die die Männer zu produktiven, führenden und planenden
Tätigkeiten befähigen und die Überzahl der Männer in Führungspositionen erklären würden.
Einhergehend mit dieser Einteilung ist auch eine implizite Wertung, die sich sowohl in der
Bezahlung als auch in der Hierarchisierung der Felder niederschlägt.
Da die Trennung der Gender-Rollen derart manifest ist, kommt es zu Problemen, wenn
Rollenklischees durchbrochen werden. Mit dieser „Unordnung“ umzugehen, gibt es verschiedene
Strategien, um passend zu machen, was laut Geschlechtervorstellungen nicht passt. In dieser
Gesellschaft wird von jedem Menschen gefordert, eine eindeutige Gender-Identität mit einem
Quelle: https://afbl.org/categories/1/papers/36 1
festen Inventar an Eigenschaften zu leben, und zwar die als Mann oder Frau, etwas dazwischen
gibt es nicht. Menschen, die sich nicht den geschlechtsspezifischen Zuordnungen unterwerfen,
sehen sich besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt, ihnen wird oft die gesellschaftliche und private
Anerkennung entzogen, da sie von ihrer Umwelt als verstörend und verunsichernd
wahrgenommen werden. Dies kann weitreichende Folgen haben und der Druck führt ja genau
dazu, dass sich Menschen einpassen und sich so das System perpetuiert. Wie sehen die
Strategien, die die Trennung der Geschlechter aufrechterhalten soll, also aus?
Frauen, die in „männliche Domänen“ und sei es nur der Führungsbereich vordringen, haben erst
einmal mit den Vorurteilen zu kämpfen, dass ihnen doch das „natürliche Grundwissen“ fehle oder
sie qua Geschlecht unfähig zu dieser Tätigkeit seien oder zumindest ihre Arbeit einer sehr viel
kritischeren Beurteilung ausgesetzt sehen. Sollte eine Frau in einer nicht typisch weiblichen
Position oder Tätigkeit erfolgreich sein, wird ihr oftmals vorgeworfen, sie habe sich „männlicher“
Verhaltensweisen bedient und sei keine „echte“ Frau mehr. Ebenso findet sich aber auch die
Argumentation, dass Frauen eben besonders gut für leitende Posten geeignet seien, weil ihnen
bspw. eine höhere Kompetenz in Kommunikation zugesprochen wird. Parallele Vorstellungen
finden wir auch, wenn Männer in „weiblichen Berufen“ arbeiten. Ihnen wird gern ihre „Männlichkeit“
abgesprochen (z.B. Weichei-Waschlappen-Vorwurf), und sie werden belächelt. Obwohl Arbeiten in
einem gesellschaftlich geringer bewerteten Beruf einen sozialen Abstieg/Machtverlust bedeutet,
wird aber in speziellen Bereichen ihre Tätigkeit von den Mitarbeiterinnen als besonders positiv und
lobenswert angesehen. Es werden ihnen eher Fehler zugestanden, weil sie mit diesem Bereich
„nicht vertraut“ seien und es gibt ebenso die Auffassung, dass Männer auch in traditionell
weiblichen Berufen qua ihres Geschlechts von besonderer Eignung seien, z.B. in Kindergärten
wird es für zunehmend wichtig empfunden, dass den Kinder auch männliche Betreuer als
Rollenmodelle vorgeführt werden.
Ähnliche Mechanismen wirken im Freizeitbereich. „Versagt“ zum Beispiel ein Mann – mal ganz
platt: kann er nicht Fußball spielen -, so wird dies mit fehlendem Talent oder individuellem
Nichtkönnen begründet. „Versagen“ Frauen hingegen, so ist dies oft genug die Bestätigung für das
Versagen eines ganzen Geschlechts. Dies äußert sich dann in Sätzen wie: „Hab ich es doch
gewusst – Frauen können so etwas nicht.“ oder: „Frauen sind für so etwas einfach nicht
geschaffen“.
Individuelle oder sozialisationsbedingte Unterschiede werden so übergangen, dass eine allgemein
gültige Aussage über Geschlechter möglich wird. Es gibt genug Beispiele, die nicht den
Stereotypen entsprechen, doch diese werden viel weniger wahrgenommen als solche, die sie
stützen, sie werden immer wieder gesucht und pseudowissenschaftlich begründet, z.B. durch
Biologisierung der Geschlechter und ihre Erklärung durch evolutionäre Sinnhaftigkeit. Männer
hätten zum Beispiel ein besseres räumliches Sehvermögen, weil sie in Urzeiten für die Jagd
zuständig waren und weite Entfernungen gut abschätzen können mussten, während bei Frauen
der Blick auf nahe, kleine Dinge besser ausgebildet ist aufgrund ihrer damaligen Aufgabe, Früchte
und Beeren zu sammeln.
Sexistischer Normalzustand
Das Geschlechterverhältnis findet seinen Ausdruck im sexistischen Alltag, der von strukturellen
und individuellen Bedrohungen und Einschränkungen geprägt ist. Diese umfassen eine große
Bandbreite, von sexistischen Sprüchen, ungewollten Berührungen bis hin zu Vergewaltigungen.
Schon die Möglichkeit einer Vergewaltigung und damit verbundene Ängste begrenzen Frauen in
ihren Möglichkeiten.
Dieser Position steht die gesellschaftlich vorgeprägte relative Machtposition von Männern
gegenüber. Hier gilt ebenso, wie bereits oben gesagt, dass es nicht um eine einseitige
Schuldzuweisung geht, sondern dass Männer wie Frauen diese Verhältnisse reproduzieren. Wer
dagegen angeht, ist beständig von Aggressionen bedroht, da niemand sich gern sein einfaches
Weltbild wegnehmen lässt. Diese Verhältnisse aufzubrechen erfordert permanente Reflexion und
Auseinandersetzung, auch mit dem eigenen Verhalten.
Geschlechtsspezifische Hierarchie- und Machtkonstellationen wirken sich auch auf Sexualität und
Quelle: https://afbl.org/categories/1/papers/36 2
Körperempfinden aus. Eine „natürliche“ Sexualität existiert nicht, Lustempfinden und Wünsche
sind vergesellschaftet. Allgemein wird jedoch ein anderes Bild vermittelt, Sexualität wird
individualisiert, als rein privat angesehen und zusätzlich mit Tabus belegt. Im
geschlechtshierarchischen System ist ein ungutes Körpergefühl von Frauen angelegt, das diese
jedoch ebenfalls als persönliches Problem begreifen sollen. Diese Verwundbarkeit wird benutzt,
um das Machtgefüge aufrechtzuerhalten, ein Mittel und ein Ausdruck davon ist sexualisierte
Gewalt. Bei einer Vergewaltigung versucht der Täter eben diese Macht zu zeigen und die Frau zu
kontrollieren, zu beherrschen und zu erniedrigen. Vergewaltigungen finden in einem
gesellschaftlichen Kontext statt, der auf Hierarchie und Gewalt in den Geschlechterverhältnissen
basiert, diesen Zustand auszunutzen und zu reproduzieren ist aber eine Entscheidung und ein
Vergewaltiger ist für seine Taten verantwortlich zu machen.
Szene – nur Teil des Ganzen
Klar ist, dass die so genannte linke Szene nicht außerhalb der Gesellschaft steht. Nur aufgrund
ihrer emanzipatorischen Ansprüche werden Linke nicht zu besseren Menschen. Auch innerhalb
einer (sub-)kulturellen Szene, deren Leute als weitestgehend politisiert bezeichnet werden, fehlt
oftmals das Bewusstsein für das Thema Sexismus. Ein antisexistisches Selbstverständnis gehört
zwar in linken Projekten inzwischen beinahe zum Standard, wird jedoch kaum mit Inhalten gefüllt.
So kommt es nicht selten vor, dass bei Konzerten jeglicher Musikrichtungen sexistische Ansagen
oder Texte zu hören sind. Wird dies überhaupt thematisiert, ist die Reaktion oft Unverständnis: die
Band sei doch gut, man dürfe das alles nicht zu ernst nehmen, schließlich sei es ja nur ein Lied
und alles nur eine Interpretationsfrage etc. Ein irgendwie politischer Anspruch scheint sich im
sozialen Bereich häufig gar nicht fortzusetzen. Sexistische Sprüche am Tresen, Rumgepose im
Club oder Antatschen im Gedränge sind auch in linken Läden an der Tagesordnung. Abgetan wird
dieses Verhalten beispielsweise damit, dass der Verantwortliche jedoch ansonsten ein guter
Antifaschist oder Antideutscher oder Kumpel ist. Von Paarbeziehungen wollen wir gar nicht erst
anfangen.
Auch in Gruppenstrukturen ist Sexismus ein niemals endendes Thema. Trotz des vielen
Geschriebenen und Gesagten sind kaum Fortschritte erzielt worden. Im Gegensatz zu anderen
Themen verlaufen Diskussionen über Sexismus, so sie überhaupt geführt werden, oft sehr
aufgeheizt und kommen über strukturelle Standards (z.B. quotierte Redeliste, paritätisch besetzte
Podien) selten hinaus.
Außerdem scheint es, als müssten seit Jahren immer wieder dieselben Diskussionen geführt
werden, hier kann zum Beispiel das ewig leidige Redeverhalten genannt werden.
Wenn es dann zu strukturellen Maßnahmen gekommen sein sollte, stellen solche Veränderungen
immer nur einen kleinen Schritt auf dem Weg zur Durchsetzung nicht-sexistischer Standards dar.
Weder sexistische noch sozialisationsbedingte Verhaltensweisen werden damit grundsätzlich in
Frage gestellt oder aufgelöst. Nach dem Plenum ist ein reflektierteres Verhalten nicht zu
bemerken. Allerdings werden von Frauen die geschaffenen Möglichkeiten oft nicht ausgeschöpft,
denn die Angst, zu versagen, das Unbehagen vor der zu übernehmenden Verantwortung wird
nicht abgebaut. Diese Ängste können nur überwunden werden, wenn sie aktiv angegangen
werden und sich nicht auf einem Status Quo ausgeruht wird.
Frauen in der linken Szene gehen ständig zugunsten einer vermeintlich allgemeinen Politik
Kompromisse in Bezug auf die Thematisierung sexistischer Verhältnisse und Verhaltensweisen
ein. Oft genug verzichten sie auf diese Diskussionen, obwohl sie ihnen wichtig sind, um mit der
Arbeit innerhalb der Gruppe voranzukommen oder weil sie negative Reaktionen befürchten. Es
muss nicht bis zum Dissing der Betreffenden kommen, ein bloßes Augenrollen oder andere
Anzeichen von Genervt-Sein reichen unter Umständen aus, um Frauen die Motivation für die
Diskussion zu nehmen. Diese Anzeichen vermitteln Frauen, dass es kein Interesse an einer
Auseinandersetzung gibt. Das Thema Sexismus wird nicht nur belächelt, sondern auch gerne
übergangen oder immer wieder verschoben.
Sexismus und das hierarchische Geschlechterverhältnis sind keine marginalen Probleme, dem
sich nur Frauen widmen sollten und die in der Gesamtheit der politischen Themenfelder eine
neben- oder untergeordnete Rolle spielt. Nicht nur, weil sexistische Sprüche nerven und
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sexualisierte Gewalt Leid verursacht, sondern weil es dabei um etwas geht, das alle betrifft.
Frauen wie Männer, Intersexuelle, Transsexuelle, erfahren Einschränkungen durch die
herrschenden Zu- und Abschreibungen, die einer freien Entwicklung im Wege stehen und so ist die
Einführung nicht-sexistischer Standards zwar eine begrüßenswerte Maßnahme, aber nicht das
non-plus-ultra. Die Reflexion des eigenen Verhaltens und weitergehende Auseinandersetzung mit
Geschlecht/Gender als eine grundlegende Kategorie, die das Leben strukturiert, kann und soll sie
nicht ersetzen