Redebeitrag zum kirchentag 2022
Nächstenliebe ist euer Glaubensgrundsatz, ein grundlegendes Element eurer Praxis. Doch geht eure Liebe nicht weiter als eure eigene Vorstellung von Norm, Recht und Ordnung. Ihr widersprecht euch wenn ihr Nächstenliebe predigt und gleichzeitig denjenigen die Liebe verweigert, die sich mehr Selbstbestimmung wünschen, die ihre Vorlieben und Identitäten ausleben und nicht unterdrücken und hinter einer scheinheiligen Fassade verstecken wollen.
Eure Liebe hat keinen Raum für Abweichung und Diversität. Eure Nächstenliebe zieht eine Grenze, sobald Menschen aus eurer Norm ausbrechen. Sobald sie nicht den Traum einer traditionellen Kleinfamilie hegen. Eure „Liebe“ kotzt uns an.
Die Würde des Menschen beschreibt ihr als wesentliches Element eures Handelns. Doch sprecht ihr denjenigen Menschen die Würde ab, die sich mehr Freiheit wünschen. Freiheit ist auch, nur dann ein Kind zu bekommen wenn man es selber möchte. Sich entscheiden zu können das eigene Leben so zu führen wie man es sich wünscht. Das ist doch selbstverständlich – oder Leben wir noch im Mittelalter? Ihr wollt Leben schützen, doch zerstört die Leben der Menschen, die nicht in eure Vorstellung von richtigem Leben und Familie passen. Das sich Rechte wie die AFD und der Verein Lebensrecht Sachsen, die auch vor Holocaust Vergleichen nicht zurück schrecken bei euch wohl fühlen wundert uns nicht – für euch ist das anscheinend auch kein Problem, sonst wären Sie kein Teil eurer Woche gegen – pardon – für das Leben.
Ihr alle, die ihr euch in eurer Institution der Kirche gemütlich eingerichtet habt, die ihr Werte verbreiten wollt, die Frauen ihre Selbstbestimmung über ihren Körper und ihr Handeln nehmen; die LGBTQI keinen Raum für ihre Persönlichkeit gibt und aus den eigenen Kreisen ausschließt. Eure Toleranz und Übereinstimmung mit dem rechten Spektrum sind menschenfeindlich, sind frauenfeindlich, sind reaktionär. Ihr schweigt wieder, ihr schaut weg, wie ihr es schon immer getan habt: bei den tausendfachen sexuellen Missbräuchen in euren Institutionen, bei den Entlassungen geouteter Mitarbeiter*innen, bei den verweigerten Abtreibungen in euren Krankenhäusern.
Seit euch bewusst, euer Altherrenclub der einen alten muffigen Mantel des Schweigens über alles legen will was nicht in euer Selbstbild passt und die die Freiheit und die Selbstbestimmung anderer aktiv einschränkt, ist zum Scheitern verurteilt.
Seit euch auch bewusst, dass alles was ihr zu verdrängen versucht in unserer Gesellschaft existiert und existieren wird. Auch morgen wird eine Frau wieder abtreiben oder sich für ein Kind entscheiden. Auch morgen werden Menschen weiter aus der Kirche austreten. Auch morgen wird an einem Küchentisch irgendwo in diesem Land das schweigen gebrochen. Und das ist gut so.
Amen.
Brief aus Leipzig
Kritik am diesjährigen Aufruf zur Demo gegen den größten deutschen Abschiebeknast in Büren
2000
Anders als im letzten Jahr haben wir uns in diesem Jahr entschieden, nicht zur bundesweiten Demo gegen Abschiebeknäste zu mobilisieren. Da das nicht (nur) aus Zeitgründen, der Notwendigkeit, Prioritäten zu setzen oder mangelndem Engagement geschieht, haben wir unsere Kritik an der diesjährigen Vorbereitung und dem Aufruf formuliert und dem Vorbereitungskollektiv als Brief zugeschickt.
Auch in diesem Jahr hätten Themen wie frauenspezifische Flucht- und Migrationsgründe, Verknüpfung von Rassismus und Sexismus (u.a. in der BRD/EU-„Asyl-“ und Abschiebepolitik) und deren Ignoranz innerhalb der linken/linksradikalen Szenen Teil der Vorbereitung und des Aufrufs sein können und sollen. Warum in diesem Jahr wieder nach Büren und nicht nach Neuss gefahren werden soll, wird nicht erwähnt. Gab es dazu eine Diskussion, ist das eine Reaktion auf die geringe TeilnehmerInnenzahl des letzten Jahres, kickt Büren mehr, weil größer? Wenigstens in den Anschreiben an die einzelnen Gruppen hätte das thematisiert werden sollen. Wir denken, daß u.a. Neuss gezeigt hat, daß eine Auseinandersetzung mit sexistischen Handlungs- und Denkmustern in linken/linksradikalen Gruppen (weiter) geführt werden muß. Diese hätte durch einen Anstoß der breiteren Diskussion und ein Festhalten an Neuss als Demoort passieren können.
Zusätzlich zum Übergehen von Sexismus ist der zweite große Kritikpunkt von uns der Aufruf. Wir finden, es wird zu oberflächlich, kurz und unpolitisch argumentiert. Zum Beispiel wird nach wie vor eine Hoffnung auf Rot/Grün (sowohl im zweiten Absatz als auch im letzten Satz) impliziert, die schon seit Jahren nicht mehr gerechtfertigt ist. Daß SPD und Grüne eine rassistische und hetzerische Politik betreiben, sollte inzwischen keiner Erwähnung mehr bedürfen. SPD oder Grüne haben diese Politik nicht „nahtlos übernommen“, sondern von vornherein aktiv betrieben, sowohl in der vermeintlichen Opposition in Bonn, als auch in den Bundesländern (gerade NRW ist knastmäßig ganz vorne dabei).
Zwar wird die rassistische Abschottungspolitik der EU genannt. Warum diese betrieben wird, z.B. deren kausale Verknüpfung mit dem kapitalistischen System, findet keine Erwähnung.
Der Aufruf kritisiert indirekt die Sprache der PolitikerInnen, in dem Anführungsstriche verwendet werden, daß Worte wie „Zuwanderungsströme“, „terroristische Banden“ etc. aber direkt den Boden bereiten für den nationalistischen, rassistischen Mob und die öffentliche Meinung noch weiter nach rechts schieben, wird nicht benannt. Worte wie „geströmt“ und „überschwemmen“ oder der versächlichende Begriff „Flüchtling“ stehen ohne Anführungszeichen, die klare Abgrenzung zu diesem rassistischen Sprachgebrauch fehlt.
Viele Themenbereiche werden nur kurz angerissen (z.B. Sachleistungen statt Kohle, Abschiebepraxis, Fluchtursachen und -gründe), dabei wird eine Kritik nicht wirklich deutlich. Eigene Forderungen und Argumentationen fehlen leider. So sind „Art und Qualität“ von Lebensmittelpaketen unserer Meinung nach vollkommen irrelevant, da die Forderung nach deren Abschaffung unabhängig von ihrer Güte besteht.
Daß die Macht- und Ressourcenverteilung Folge und Ziel der jahre- und jahrhundertelangen westeuropäischen und deutschen Politik war und ist, arbeitet die Vorbereitungsgruppe nicht heraus. Kolonialismus und aggressiver rassistischer Kapitalismus, der genau diese vorhandene Aufteilung der Welt benötigt, werden nicht in die Verantwortung genommen. Statt dessen wird nur von einer „Mitschuld“ an „Armut und Zerstörung des Lebensraumes“ geschrieben. Eine genauere politische Analyse wäre angebracht.
Bei der Beschreibung des bürokratischen Vorgangs bei Abschiebungen bleibt die Kritik ebenfalls an der Oberfläche. Egal, ob irgendwelche Einschätzungen „die tatsächlichen Verhältnisse“ in einem Land beschreiben, eine politische Forderungen ist doch, daß die Grenzen weg müssen und jede Person ohne irgendeine Einschränkung leben kann, wo sie will. Verinnerlichter Rassismus wird unserer Meinung nach noch befördert, in dem explizit darauf hingewiesen wird, daß in Büren „ca. 90% der Inhaftierten … nicht straffällig“ geworden sind. Wahrscheinlich denken die meisten Menschen bei Knast an Kriminalität. Und auf die Normalität einer Inhaftierung ohne dem System einen Grund geliefert zu haben, muß durchaus immer wieder hingewiesen werden. Aber in dieser verkürzten Version bleibt die Argumentation rein bürgerlich. Nach dem Motto: Sogar „unschuldige“ Menschen werden in den Abschiebeknast gesteckt. Als wäre es bei nach BRD-gängiger „Rechtspraxis“ Kriminellen noch zu verstehen, daß sie weggesperrt werden. Diese unterschwellige Meinung wird verfestigt, in dem der Text nicht die Forderung nach der Schließung aller Abschiebeknäste aufstellt. Der brutal rassistische Alltag wird nicht angeprangert und dessen Beendigung nicht gefordert.
In dem abgesetzten und fett gedruckten Statement auf der Vorderseite wird lediglich um Verständnis für MigrantInnen gebeten, da „niemand“ „ohne Grund und… psychische Belastung“ in die BRD komme. Wir denken, daß die Forderung „Grenzen auf für alle“ nach wie vor Bestand hat und niemand einen Grund benötigt oder dem deutschen System Rechenschaft schuldig ist, warum sie oder er entschieden hat, hier zu leben. Gerade in einer Zeit der rechten Hegemonie und offen rassistischer Hetze ist es wichtig, sich nicht in einen vermeintlichen Dialog zu begeben, sondern an radikaler Kritik festzuhalten.
Ein Aufruf kann selbstverständlich nie ein Thema vollkommen und umfassend behandeln. Deshalb ist es nötig, einzelne Punkte zu betonen und einer politischen Analyse zu unterziehen. In dem diesjährigen Aufruf werden viele Themen kurz angesprochen, ohne sie jedoch auszubauen, so daß von einer linken/linksradikalen Kritik kaum etwas zu bemerken ist. Dies ist besonders verwunderlich, weil gerade zu Büren bereits seit mehren Jahren gearbeitet wird.
afbl (antifaschistischer frauenblock leipzig)